Alkoholkonsum: Womit keiner rechnet
In den meisten großen Industriestaaten sinkt der Alkoholkonsum. Besonders schlecht verkauft sich Hochprozentiges. Das hat auch mit Zucker und Cannabis zu tun.
Alkoholkonsum: Womit keiner rechnet
In den reichen Ländern geht der Alkoholkonsum etwas zurück. Das hat auch mit Cannabis und Zucker zu tun.
Aus der ZEIT Nr. 01/2026 Aktualisiert am 30. Dezember 2025, 10:31 Uhr
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Das Glas bleibt leer: In vielen reichen Ländern geht der Alkoholkonsum zurück. © Mia Takahara/plainpicture
Mit guten Vorsätzen ist es so eine Sache. Gefasst sind sie schnell, und im neuen Jahr geht’s dann auch gleich los mit mehr Sport, gesünderem Essen oder weniger Alkohol. Sie durchzuhalten, ist schon schwieriger, wie man in jedem Fitnessstudio beobachten kann: Im Januar sind alle Spinde in den Umkleidekabinen belegt, für Fatburner-Kurse gibt es Wartelisten. Im Februar sind die Studios schon etwas leerer, und ab März ist alles wie immer. Dann sind die guten Vorsätze dahin, während die Beiträge fürs Abo weiter abgebucht werden.
Zumindest beim Alkohol gibt es jedoch gute Nachrichten. Da scheint sich strukturell etwas zu verändern. Zwischen 2019 und 2024 sei der Konsum von alkoholischen Getränken in acht von zehn Industriestaaten zurückgegangen, schreibt die Deutsche Bank in einer Analyse, die schon im Herbst erschien. Und das ist ja schon mal was. Gute Vorsätze, so sieht es aus, kann man offenbar nicht nur fassen, sondern auch umsetzen. Was das im Detail bedeutet, dazu kommen wir noch.
Dass diese Nachrichten ausgerechnet in einem Report der Deutschen Bank auftauchen, überrascht allerdings. Man würde sie auch nicht unter der Überschrift "Ein weitverbreitetes Problem in entwickelten Märkten" erwarten. Kurzer Moment der Irritation, dann, na klar: Ein Problem ist der Rückgang natürlich für Schnapsbrenner und Bierbrauer! Darüber schreibt die Deutsche Bank.
Die Aktienkurse der globalen Alkoholkonzerne entwickeln sich eher mäßig. Was irgendwie auch erwartbar ist, wenn der Konsum in den reichen Ländern abnimmt. In den aufstrebenden Märkten hingegen ist die Welt aus Sicht von Winzern und Aktienanalysten noch einigermaßen in Ordnung. Glück gehabt, liebe Aktionäre!
Die Entwicklung beim Alkohol ähnelt jener, die man auch im Zusammenhang mit anderen, nennen wir sie "umstrittenen" Konsumgütern kennt. In Ländern, die wirtschaftlich gerade aufstreben und in denen sich der Lebensstandard der Bevölkerung verbessert, wird eher mehr Fleisch gegessen und werden mehr Zigaretten geraucht. In weiter entwickelten Ländern schwächt sich dieser Effekt oft ab und kehrt sich bisweilen sogar um.
Der Alkoholkonsum mag in vielen reichen Ländern zurückgehen und anderswo steigen – über das Ausmaß der Veränderung verrät diese Beobachtung allerdings noch nichts. Die Prozentwerte sind auch überschaubar. In den fünf Jahren zwischen 2019 und 2024 sank der Konsum von reinem Alkohol pro Kopf in Deutschland, den USA, Frankreich, Großbritannien und Spanien um jeweils ein bis zwei Prozent. In Brasilien, Mexiko, Indien und Südafrika nahm er in ähnlicher Größenordnung zu. Am stärksten wuchs er mit knapp über zwei Prozent in Russland. Gründe nannten die Analysten der Deutschen Bank nicht.
Bier würde Spirituosen "outperformen", schreiben sie weiter. Man muss auch diese Wortwahl etwas einordnen. Performance, also Leistung, ist nämlich immer relativ. Das Geschäft mit Bier entwickelt sich nicht wirklich besser als das mit Schnaps, nur weniger schlecht. Faustregel für die entwickelten Länder: Je mehr Alkohol ein Getränk enthält, desto weniger verkauft es sich derzeit.
Selbst wenn mancherorts nun weniger getrunken wird, ist die Menge immer noch zu viel. Das sagen natürlich nicht die Bankanalysten – sondern Ärzte und andere Gesundheitsexperten. "Nach aktuellem Forschungsstand gibt es keinen gesundheitlich unbedenklichen Alkoholkonsum", schreibt beispielsweise das Robert Koch-Institut, das viele noch von der Coronapandemie kennen. Selbst wer in der Woche nur zwei Flaschen Bier oder zwei Glas Wein trinke, nehme ein – wenngleich geringes – Risiko gesundheitlicher Schäden in Kauf.
Nach Angaben des Bundesgesundheitsministeriums werden hierzulande pro Kopf jährlich immer noch 10,6 Liter reiner Alkohol getrunken, fast doppelt so viel wie im globalen Mittel. Deutschland gehöre damit "unverändert zu den Ländern mit einem hohen Alkoholkonsum und liegt im oberen Drittel der Rangliste". Selbst wenn der Konsum tendenziell sinkt, kann von Abstinenz noch lange keine Rede sein.
In den USA gebe es Hinweise darauf, heißt es in der Studie der Deutschen Bank, "dass der steigende Cannabiskonsum möglicherweise zu niedrigeren Alkoholkonsumraten beigetragen hat". In Europa hingegen seien Softdrinks für viele Menschen eine Alternative. Fazit also: Kiffen und Zucker ersetzen Schnaps, Wein und Bier. Mit dem guten Vorsatz, weniger Alkohol zu trinken, lässt sich das vielleicht gerade noch so in Einklang bringen. Nicht aber mit dem, gesünder zu leben.