Entführung in Nigeria: "Ich bete: Herr, schenke mir Mut"
Nigerias Regierung schütze weder Christen noch Muslime, sagt Ordensfrau Agatha Chikelue. Hier erzählt sie, was aus der Gewalt folgt und wie die Religionen zusammenhalten.

Diese Mädchen gehörten zur ersten großen Gruppe freigelassener Geiseln. © Oriye Tamunotonye/Getty Images
Entführung in Nigeria: "Ich bete: Herr, schenke mir Mut"
Die nigerianische Ordensfrau Agatha Chikelue erzählt, wie sie die Entführung von mehr als 300 Kindern und Nonnen aus der Schule St. Mary verfolgte. Und wovor sie jetzt Angst hat.
Aus der ZEIT Nr. 01/2026 Aktualisiert am 30. Dezember 2025, 9:30 Uhr
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Die ersten Nachrichten über die Entführung der Kinder kamen von den Entführten selbst. Dazu muss man wissen, dass die katholische Schule St. Mary in Papiri, an der das Drama sich ereignete, von Nonnen geführt wird. Auf sie hatten es die Entführer ursprünglich abgesehen. Und sie waren es auch, die in der Nacht des 21. November Alarm schlugen.
Ich bekam die Hiobsbotschaft per WhatsApp, denn in einer Gruppe, zu der ich gehöre, sind neben vielen Ordensleuten und Bischöfen auch Schwestern der betroffenen Kongregation. Anfangs schrieben sie, dass fünfzig Schüler gekidnappt wurden, erst später überblickte der Orden das Ausmaß der Katastrophe: 303 Kinder und 15 Lehrerinnen fehlten. Nigerias Hauptstadt Abuja, wo ich lebe, liegt mehrere Autostunden entfernt vom ländlichen Tatort im Norden des Landes, im Bistum Kontagora. Als wir church leaders begriffen, dass es eine Massenentführung war, flehten wir die Regierung an, etwas zu unternehmen. Doch tagelang geschah gar nichts.
Etwa fünfzig Kinder hatten es allerdings geschafft, zu fliehen: Sie waren von den Motorrädern der Terroristen gesprungen oder hinten runtergefallen. Es dauerte fast zwei Wochen bis zur Freilassung der ersten großen Gruppe von mehr als hundert Entführten. Wie das gelang, darüber ließ unsere Regierung die christliche Gemeinschaft jedoch völlig im Unklaren, selbst Ordensobere und Bischöfe erfuhren nichts. Erleichtert waren wir, als Präsident Trump sich sofort, noch im November, an die Entführer gewandt hatte, die USA würden militärisch einschreiten, wenn die Kinder nicht umgehend freikämen.
Ich bin sicher, dass unsere Politiker sich nur deshalb so rasch um die Befreiung kümmerten, weil die amerikanische Regierung ihnen im Nacken saß. Wie die Familien der Gekidnappten fürchtete auch ich, dass es ihnen ergehen könnte wie den Mädchen von Chibok: Im April 2014 hatte 276 Teenager aus einer staatlichen Schule im Norden entführt, die ursprünglich von Protestanten gegründet worden war. Viele Opfer waren evangelisch, sehr viele aber auch muslimisch. Es traf sie alle gleichermaßen, weil den Dschihadisten die Bildung für Mädchen ein Dorn im Auge war. Sie wollten Angst verbreiten, und zugleich ging es um Geld. Damals gelang nur ganz wenigen Verschleppten die Flucht, und es dauerte drei Jahre, bis 82 durch einen Deal freikamen. Die meisten sind bis heute verschollen. Sie wurden vergewaltigt und zwangskonvertiert, verkauft und versklavt.