Migration: Warum Wechselstuben Bezahlkarten für Geflüchtete umtauschen
30. Dezember 2025, 4:01 Uhr Quelle: dpa Hessen

Tausch von Lebensmittelgutscheinen, die über Bezahlkarten gekauft wurden - in sogenannten Wechselstuben können Geflüchtete Bargeld erhalten. Die Karte soll das eigentlich verhindern. © Helmut Fricke/dpa
Auch rund ein Jahr nach ihrer Einführung ist die Bezahlkarte für Geflüchtete noch nicht in jeder Kommune Hessens so einsetzbar, wie ursprünglich geplant. Das soll sich bis Ende Januar ändern, wie das hessische Sozialministerium mitgeteilt hat. Mit Ausnahme der Stadt Hanau sollen die Karten dann flächendeckend im Einsatz sein.
Welchen Zweck soll das bargeldlose Zahlungsmittel erfüllen? Und wie erleben Helfer die Situation, die Asylbewerberinnen und -bewerbern weiter ermöglichen wollen, Bargeld zu bekommen?
Worauf zielt die Bezahlkarte?
Vorgesehen ist die Bezahlkarte für Geflüchtete mit noch nicht abgeschlossenen Asylverfahren sowie abgelehnte Asylbewerber mit Duldungsstatus. Sie sollen darüber einen großen Teil der staatlichen Leistungen zum Lebensunterhalt als Guthaben erhalten und entsprechend weniger Bargeld. So soll unter anderem verhindert werden, dass Migranten Geld an Schlepper zahlen oder an Familie und Freunde im Ausland überweisen.
In der Erstaufnahmeeinrichtung des Landes Hessen (EAEH) in Gießen war die Einführung der Karte im Mai 2025 abgeschlossen. Das heißt, dass zu diesem Zeitpunkt alle erwachsenen asylsuchenden Bewohner der Einrichtung ihre Leistungen über die Bezahlkarte erhielten. Diese ist nach Angaben des hessischen Sozialministeriums wie jede Debitkarte regional unbegrenzt in Deutschland nutzbar.
Was bewegt die Helfer in den Wechselstuben?
Für die Geflüchteten bringe dies jedoch große Nachteile mit sich, erklärt eine der Mitarbeiterinnen einer Gießener Wechselstube. 15 ehrenamtliche Helferinnen und Helfer organisieren dort seit Jahresbeginn an einem Abend pro Woche Möglichkeiten für die Asylbewerber, an Bargeld zu kommen. Sie sehen in der Bezahlkarte eine massive Einschränkung der Selbstbestimmung, weil die Asylbewerber damit nur noch 50 Euro Bargeld im Monat zur Verfügung hätten und gezwungen seien, in bestimmten Geschäften einzukaufen.
Deshalb bieten Wechselstuben eine Tauschmöglichkeit: Mit ihrer Bezahlkarte können sich Asylbewerber Lebensmittel-Gutscheine in Supermärkten kaufen, die an Bürgerinnen und Bürger weitergereicht werden. Geflüchtete können die Gutscheine dann in der Wechselstube in Bargeld tauschen. Etwa 30 bis 50 «solidarische Haushalte» unterstützen die Gießener Wechselstube demnach regelmäßig.
Illegal sei das zwar nicht, aber von den Behörden auch nicht gerne gesehen, sagt eine der Helferinnen, die sich Jenny nennt, ihren richtigen Namen aber nicht nennen möchte. Sie ist überzeugt: «Von dem wenigen Geld, dass die Menschen im Monat erhalten, sind sie ohnehin nicht in der Lage, Beträge nach Hause zu überweisen.» Vielmehr benötigten sie das Geld in der Regel dringend für Lebensmittel und andere Dinge des täglichen Bedarfs.
Wo kann die Karte nicht verwendet werden?
Die Bezahlkarten könnten die Menschen an vielen Stellen, an denen sie gerne einkaufen würden, nicht einsetzen, sagt Jenny - auf Flohmärkten beispielsweise, in kleinen Lebensmittelläden oder in Gebrauchtwarenhäusern, wo sich die Leute beispielsweise mit Baby-Kleidung, Kinderwagen, Geschirr oder Kleidung eindecken wollen. Auch beim An- und Verkauf bestimmter Dinge untereinander lasse sich mit der Bezahlkarte nichts anfangen.
Zulauf in Gießener Wechselstube spürbar zurückgegangen
In der Wechselstube sei sehr zu spüren, dass immer weniger Menschen in die Erstaufnahmeeinrichtung des Landes Hessen in Gießen kommen, sagt Jenny. Noch im Sommer dieses Jahres habe die Einrichtung sehr viel Zulauf gehabt, an manchen Abenden seien etwa 70 bis 80 Menschen gekommen, mittlerweile seien es häufig nur noch die Hälfte. Meist sei die Atmosphäre entspannt, die Menschen erhielten bei Ankunft eine Marke und warteten dann, bis sie dran seien, um ihr Geld zu erhalten.
Wie ist die Situation in anderen Wechselstuben?
Auch in weiteren hessischen Städten gibt es solche Wechselstuben, beispielsweise in Offenbach. Dort gibt die Stadt die Bezahlkarten noch nicht aus, daher kommen meist Menschen aus dem Umland zu den Terminen, die es alle zwei Wochen gibt, wie Hinrich Garms erläutert. Er unterhält das Angebot gemeinsam mit anderen Mitgliedern des Vereins Offenbach Solidarisch.
«Man will den Menschen ganz klar das Leben schwer machen», sagt Garms zur Einführung der Bezahlkarte. Auch Geflüchtete wollten auf einem Markt oder im Second-Hand-Laden einkaufen. «Mit dem Bargeld, das sie bei uns erhalten, ist diese Einschränkung wenigstens ein Stück weit aufgehoben.» Es handele sich um Menschen, die ohnehin schon unter dem Existenzminimum leben müssten. Zudem sei zu befürchten, dass über die Bezahlkarte Daten erhoben würden.
Derzeit gibt es Garms zufolge mehr Bürger und Bürgerinnen, die kommen und Gutscheine mitnehmen und dafür Bargeld da lassen. Daher tauscht sich die Wechselstube mit einer in Bayern aus, wo die Situation umgekehrt ist.
Das Vorgehen sei legal, sagt Garms. «Entweder sie schaffen die Bezahlkarte ab oder sie müssen mit unserem Angebot leben», sagt er mit Blick auf die Politik. Sobald die Nachfrage ansteige, werde man das Angebot ausweiten.
Wie sehen die Behörden die Wechselstuben?
Vom Sozialministerium hieß es, der Landesregierung lägen keine Informationen «zu relevanter oder gar flächendeckender Nutzung sogenannter Tauschbörsen vor». Man begrüße, dass sich die Bundesregierung für eine bundeseinheitliche Regelung ausgesprochen habe. «Wir beobachten die Situation sehr sorgfältig und werden möglichem Missbrauch begegnen.»
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