SOURCE:Zeit Online|BY:DIE ZEIT: Gesellschaft - David Rech
Jedes Jahr wird in Deutschland über ein Böllerverbot diskutiert. Während die Niederlande es im Sommer beschlossen haben, erzielt die Pyroindustrie hier Rekordumsätze.
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Jedes Jahr wird in Deutschland über ein Böllerverbot diskutiert. Während die Niederlande es im Sommer beschlossen haben, erzielt die Pyroindustrie hier Rekordumsätze.
Aktualisiert am 29. Dezember 2025, 13:49 Uhr
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Manche warten das ganze Jahr, bis sie an Silvester ihre Böller zünden können – und verlieren dann ihre Hand.Ärzteverbände und die Polizei warnen Jahr für Jahr vor den Gefahren durch Feuerwerk. Der Bundesverband für Pyrotechnik und Kunstfeuerwerk hingegen spricht von einer Anti-Feuerwerkskampagne, die zu emotional geführt werde. Die Pyroindustrie verzeichnete in den vergangenen Jahren Rekordumsätze: 197 Millionen Euro Gesamtumsatz erzielte die Branche zum Jahreswechsel. Auch in diesem Jahr fordern zahlreiche Organisationen vor dem Jahreswechsel ein Böllerverbot. Was spricht dafür – und wer dagegen? Ein Überblick
Alle Fragen im Überblick:
Wer fordert ein Verbot privater Pyrotechnik?
Ein breites Bündnis aus mehr als 50 Organisationen ruft in diesem Jahr unter dem Namen #böllerciao dazu auf, privates "Böllern" zu verbieten, darunter Polizeigewerkschaft, Ärzteschaft, Tierschutzorganisationen, die Deutsche Umwelthilfe und das Deutsche Kinderhilfswerk. Es sei höchste Zeit, der massiven Silvestergewalt wirksam entgegenzutreten, fordert der Bundesvorsitzende der Gewerkschaft der Polizei (GdP), Jochen Kopelke. "Wir Polizistinnen und Polizisten sind es leid, jedes Jahr am eigenen Leib zu spüren, was politische Untätigkeit anrichtet."
Dem Bundesgeschäftsführer des Deutschen Kinderhilfswerkes, Holger Hofmann, zufolge gehören Kinder und Jugendliche zu besonders gefährdeten Gruppen durch Silvesterböller. "Vor allem Kleinkinder, neurodiverse Kinder, Kinder mit Traumaerfahrung oder einfach hoher Sensibilität leiden stark unter der Böllerei. Aufgrund ihres höheren Atemvolumens im Verhältnis zur Körpergröße und ihrer höheren Atemfrequenz atmen Kinder und Jugendliche die extremen Feinstaubkonzentrationen besonders schnell ein, zudem kommt es jedes Jahr bei ihnen überproportional zu schweren Augenverletzungen."
Eine Petition für ein Böllerverbot der GdP unterschrieben 2,2 Millionen Menschen. "Das ist die größte Petition, die es gibt in Deutschland", sagte der Landesvorsitzende der Berliner GdP, Stephan Weh. Er übergab sie an den Vorsitzenden der Innenministerkonferenz Anfang Dezember.
Zahlreiche Verletzte, Tote, Angriffe auf Einsatzkräfte und die Folgen für Umwelt und Tiere: All das sind gängige Argumente gegen das Zünden von Pyrotechnik. Allein beim Jahreswechsel 2024/25 wurden fünf Tote und Hunderte Verletzte gemeldet. Die häufigste Verletzungsart ist einer im European Journal of Trauma and Emergency Surgery veröffentlichten Studie zufolge Verbrennung. Für die Studie wurden Daten aus Traumazentren in Deutschland von 2017 bis 2023 untersucht. Zwei Drittel der Verletzten sind demnach männlich – und jung. Etwa die Hälfte ist weniger als 24 Jahre alt, ein Drittel der Verletzten jünger als 14. Interessant ist auch: Die Mehrzahl der Verletzungen wird laut der Untersuchung durch legale pyrotechnische Artikel verursacht. Lediglich schwere Verletzungen sind demnach oft auf illegale Feuerwerkskörper zurückzuführen.
Dem Umweltbundesamt zufolge werden in Deutschland jährlich rund 2.050 Tonnen Feinstaub freigesetzt, der Großteil davon in der Silvesternacht. Das ist etwa ein Prozent der gesamten Menge Feinstaub, die in Deutschland jährlich gemessen wird. Die Luftbelastung ist am 1. Januar dadurch so hoch wie sonst nie im Jahr.
Feuerwerk kann zudem retraumatisieren. Aus Kriegsgebieten geflüchtete Menschen können durch das Knallen der Feuerwerkskörper an entsprechende Traumata erinnert, Ängste und körperliche Reaktionen hervorgerufen werden.
Auch für Tiere bedeutet Silvester Stress – die meisten Halter wissen das. Dabei sind auch Nutztiere in Stallungen betroffen. Masthühner etwa können durch die Geräusche in Panik verfallen und sich gegenseitig tottrampeln oder ersticken. Hinzu kommt ein erhöhtes Brandrisiko: 2019 und 2020 gab es nach Angaben der Deutschen Umwelthilfe etwa 27 Brände in Tierhaltungsbetrieben, die auf Silvesterböller oder -raketen zurückzuführen waren. In der Neujahrsnacht 2020 wurde das Affenhaus im Krefelder Zoo durch Himmelslaternen in Brand gesetzt – etwa 50 Tiere, darunter acht Menschenaffen, starben.
Plötzliches Knallen und Lichtblitze können zudem bei Tieren Panik auslösen. Besonders Vögel reagieren auf Feuerwerke. Studien zeigen, dass sie an Silvester in immer größere Höhen aufsteigen, sich dort aber kaum orientieren können und unnötig viel Energie verbrauchen. Viele meiden ihre gewohnten Rast- und Schlafgebiete tagelang, viele landen teils für lange Zeit nicht. Dieser physische Stress kann für die Tiere lebensbedrohlich sein.
Gegen ein Böllerverbot stellt sich unter anderem der Bundesverband für Pyrotechnik und Kunstfeuerwerk. "Feuerwerk zum Jahreswechsel ist für Millionen Menschen in Deutschland ein unverzichtbarer Brauch. Einmal im Jahr selbst die Funken sprühen zu lassen, birgt eine besondere Faszination", sagt dessen Geschäftsführer Christoph Kröpl. Der Verband fordert, stattdessen schärfer gegen illegale Feuerwerkskörper vorzugehen und kritisiert eine "Anti-Feuerwerkskampagne".
In den vergangenen Jahren verzeichnete die Pyroindustrie immer wieder Rekordumsätze. Der Vorsitzende des Verbands der pyrotechnischen Industrie, Thomas Schreiber, sieht das kontinuierliche Wachstum als Argument gegen ein Böllerverbot. "Wir freuen uns über diese große Nachfrage, beweist sie doch, dass für viele Menschen Silvester und Feuerwerk untrennbar miteinander verbunden sind und die Tradition hochgehalten wird", teilte Schreiber Anfang des Jahres mit.
Aber auch andere Länder haben strengere Regeln, was privates Feuerwerk betrifft, darunter die USA, Australien oder Chile. Auch in Frankreich, Irland, Italien, Österreich und der Schweiz gibt es strengere Auflagen als bei uns.
Doch auch hierzulande gibt es Orte, an denen man Feuerwerk entkommen kann. Viele Gemeinden haben etwa Verbotszonen für Feuerwerk eingerichtet. Auf den Nordseeinseln Amrum, Sylt, Föhr, Hallig Oland und Spiekeroog ist das Zünden zudem strikt verboten. Das gilt generell für jene Küstenregionen, in denen es viele Reetdachhäuser gibt. Auch im Harz ist es in einigen Gemeinden ruhig, denn in dem Nationalpark gilt ein 250 Quadratkilometer großes Feuerwerksverbot.
Umfragen zeigen seit Jahren, dass die Mehrheit der Menschen in Deutschland ein Böllerverbot befürwortet – zumindest, wenn es um das private Zündeln geht. Einer Umfrage von YouGov zufolge wollen 63 Prozent der Befragten Silvester ohne Feuerwerk feiern, nur fünf Prozent wollten sicher böllern. 24 Prozent der Befragten sprachen sich für ein generelles Verbot für Feuerwerk aus, weitere 34 Prozent würden nur öffentlich organisiertes Feuerwerk zulassen. Zum Anfang des Jahres hatten zudem mehr als 1,9 Millionen Menschen eine Petition für ein bundesweites Böllerverbot unterschrieben.
Linke und Grüne befürworten ein Böllerverbot. Die Grünen nahmen es vor der Bundestagswahl in ihr Wahlprogramm auf. Die Linksfraktion im Bundestag brachte jüngst einen Antrag ein, der Städten und Gemeinden per Verordnung mehr Spielraum bei Verboten gibt; später soll ein bundesweites Verbot folgen.
Die von der SPD geführten Bundesländer konnten sich nach Informationen des Tagesspiegels im Sommer auf eine gemeinsame Position einigen und fordern Verbots- und ausgewiesene Erlaubniszonen für privates Silvesterfeuerwerk. Dagegen stellen sich die CDU-Innenminister. Politiker der CDU haben sich bisher immer wieder ablehnend gegenüber einem Böllerverbot gezeigt, so sprach sich der Innenminister von Nordrhein-Westfalen, Herbert Reul, gegen ein generelles Verbot aus, auch Berlins Regierender Bürgermeister Kai Wegner lehnt das ab. Ähnliches ist aus der CSU zu hören. Tenor ist dabei oft, dass ein generelles Verbot jene bestrafen würde, die verantwortungsvoll böllern.
Den Umgang mit Feuerwerk regelt das sogenannte Sprengstoffgesetz. Es teilt Feuerwerkskörper in vier Kategorien ein – F1 bis F4. Zu Kleinstfeuerwerken der Kategorie F1 werden etwa Wunderkerzen, Brummkreisel oder kleine Vulkane gezählt. Sie dürfen ganzjährig und von Menschen, die mindestens zwölf Jahre alt sind, verwendet werden. Das klassische Silvesterfeuerwerk fällt in die zweite Kategorie. Für die Verwendung von sogenannten Kleinfeuerwerken der Kategorie F2 muss man 18 Jahre alt sein.
Das Sprengstoffgesetz regelt klar, wo Pyrotechnik nicht gezündet werden darf: in unmittelbarer Nähe von Kirchen, Krankenhäusern, Kinder- und Altersheimen sowie besonders brandempfindlichen Gebäuden oder Anlagen. So ist das Zünden etwa in der Nähe von Reet- und Fachwerkhäusern verboten. Zudem können Behörden Verbotszonen für das Abbrennen von pyrotechnischen Gegenständen benennen. Solche Zonen gibt es in vielen Gemeinden des Landes, etwa an der Binnenalster in Hamburg oder in der Münchner Altstadt.
Ab 18 Uhr am 31. Dezember und bis sieben Uhr morgens am 1. Januar dürfen Feuerwerkskörper der Kategorie F2 dann in den entsprechenden Gebieten gezündet werden. Danach ist ihr Abbrennen wieder verboten – außer, man beantragt eine Ausnahmegenehmigung beim Ordnungsamt, etwa für besondere Anlässe wie Geburtstage oder Hochzeiten.
Der Verkauf von F2-Feuerwerk ist nur an den letzten drei Tagen des Jahres erlaubt und startet in der Regel am 29. Dezember.