Warum zum Jahresende der Stapel ungelesener Bücher wächst
Oft wächst zum Jahresende der Stapel ungelesener Bücher. Viele Menschen feiern ihre Buchstapel längst als Interior-Statement. Was das mit dem japanischen Wort "Tsundoku" zu tun hat. Von Christoph Ohrem und Max Burk.

Vorfreude auf das Lesen Warum der Stapel ungelesener Bücher wächst
Stand: 30.12.2025 15:51 Uhr
Oft wächst zum Jahresende der Stapel ungelesener Bücher. Viele Menschen feiern ihre Buchstapel längst als Interior-Statement. Was das mit dem japanischen Wort "Tsundoku" zu tun hat.
Von Christoph Ohrem und Max Burk, WDR
Bei vielen dürfte mindestens ein Buch auf dem Gabentisch gelegen haben. Laut einer aktuellen Umfrage verschenken 64 Prozent der Befragten zu Weihnachten gerne Bücher, öfter als jedes andere Geschenk. Rund vier Milliarden Euro setzt der stationäre Buchhandel im Jahr insgesamt um. Bei vielen kommt das gebundene Präsent sofort auf den Turm, den man auf TikTok liebevoll "SuB" nennt, den "Stapel ungelesener Bücher".
Im Japanischen gibt es für dieses Phänomen ein eigenes Wort: "Tsundoku". Wakako Knaust vom Japanischen Kulturinstitut Köln erklärt: "Tsundoku bezeichnet die Situation, dass man Bücher kauft, die man lesen möchte, und sie auf einen Stapel legt. Irgendwie hat man dann aber doch keine Lust oder keine Zeit, die Bücher zu lesen". Die Folge: Der Stapel bleibt monatelang oder sogar jahrelang ungelesen. In Japan, so Wakako Knaust, benutzt man das Wort deshalb "oft humoristisch und selbstironisch."
Ähnlich ist das bei Buchbloggern und Booktokern. Dort ist die Bezeichnung "SuB" zwar ebenfalls selbstironisch. Verbunden ist das aber mit dem Eingeständnis, dass die Bücher auf diesem Stapel tatsächlich ungelesen bleiben werden. Dabei dürfte BookTok, so der Sammelbegriff für Bücher-Content auf TikTok, einen erheblichen Teil zu diversen SuBs beitragen: 70,8 Millionen Einträge hat der Hashtag #BookTok auf der Plattform TikTok. 2024 sind laut Branchenverband etwa 25 Millionen Bücher aufgrund von BookTok-Empfehlungen gekauft worden.
Die Hoffung, alles lesen zu können
Der Sozialpsychologe Jens Förster spricht in diesem Zusammenhang von Büchern als "Identitätsmarkern", Dingen also, mit denen Menschen nach außen zeigen, wer sie sind oder sein möchten. Die einen würden viel lesen und aus Interesse mehr Bücher kaufen, als sie im Alltag bewältigen könnten. Für andere hätten Bücher eher eine symbolische Bedeutung. Sie stünden nicht nur für Wissen, sondern auch für Bildung und kulturellen Anspruch: "Wenn ich Bücher habe, werde ich als belesen wahrgenommen", erklärt Förster.
In beiden Fällen spiele Optimismus eine Rolle: die Vorstellung, man werde schon Zeit finden, all das Gekaufte auch zu lesen. "Wir überschätzen uns dabei oft", sagt Förster. Der Alltag komme dann dazwischen. Gerade bei Büchern sei das besonders ausgeprägt. Anders als viele andere Konsumgüter würden sie selten weggeworfen und sich deshalb über Jahre ansammeln.