Die Währung im Iran bricht ein und die Menschen demonstrieren auf den Straßen. Wie groß ist diese Protestbewegung? Das hängt wesentlich von zwei Dingen ab.
Die Währung im Iran bricht ein und die Menschen demonstrieren auf den Straßen. Wie groß ist diese Protestbewegung? Das hängt wesentlich von zwei Dingen ab.
30. Dezember 2025, 17:16 Uhr
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Wenige Stunden, nachdem die Finanzmärkte in Teheran am Sonntagmorgen öffneten, zeichnete sich eine Erschütterung ab. Iranische Medien berichteten vom freien Fall des iranischen Rial. Selbst für ein Land, dessen Währung rasante Kursstürze bereits kennt, war die Geschwindigkeit des Falls außergewöhnlich.
Die Folgen zeigten sich nicht nur virtuell an der Börse, sondern auch ganz konkret auf dem Teheraner Basar. Dort schlossen Handyverkäufer ihre Geschäfte, Goldhändler stoppten den Handel. Online-Plattformen, die Wechselkurse in Echtzeit anzeigen, setzten ihren Betrieb zeitweise aus, Wechselstuben erklärten reihenweise, keine Transaktionen mehr vorzunehmen. Im Laufe des Tages zogen weitere Händler nach.
Was als Reaktion auf die wirtschaftliche Lage begann, wuchs binnen Stunden zu einem Protest im Zentrum der iranischen Hauptstadt heran. Händler versammelten sich vor ihren Geschäften und begannen, Protestparolen zu skandieren. Auf Slogans gegen die Wirtschaftspolitik der Regierung folgten Forderungen nach stabilen Wechselkursen und der Eindämmung der Inflation. Doch bald waren auch Parolen gegen das politische System insgesamt zu hören – darunter der Ruf "Tod dem Diktator".
Augenzeugen berichten von einer starken Präsenz der Sicherheitskräfte im Stadtzentrum. Das zeigen auch Videos in sozialen Netzwerken. Aufnahmen exiliranischer Fernsehsender belegen, dass die Bereitschaftspolizei – üblicherweise die erste Einheit bei Straßenprotesten – Tränengas einsetzte, um Demonstrierende auseinanderzutreiben. Es kam zu Zusammenstößen zwischen Polizei und Protestierenden. Am Montag breiteten sich die Proteste auf andere Städte im Land aus, auch die Zusammenstöße zwischen Demonstrierenden und Sicherheitskräften wurden heftiger.
Es ist nicht das erste Mal, dass Basarhändler in Teheran und anderen Städten protestieren. Starke Schwankungen und der instabile Wechselkurs haben immer wieder zu Streiks und Demonstrationen geführt. Auch diesmal ist der drastische Wertverlust des Rial gegenüber dem Dollar der zentrale Auslöser. Binnen eines Jahres hat sich der Wert der Landeswährung nahezu halbiert.
Der Teheraner Politökonom Khosrow Sadeghi Boroujeni weist im Gespräch mit der ZEIT darauf hin, dass der iranische Basar kein homogener Block sei. Dort arbeiten Verkäufer, Straßenhändler, Ladenangestellte, Service- und Transportarbeiter. Ihre Proteste richten sich nicht allein gegen den Dollarkurs, sondern auch gegen unsichere Arbeitsverhältnisse, prekäre Lebensbedingungen, Diskriminierung und niedrige Löhne. Demgegenüber stehen die Geschäftsinhaber, Im- und Exporteure, Betreiber von Ketten und Großhändler. Steigt der Dollar, erhöhen sich für sie Produktions- und Mietkosten – auch sie geraten unter Druck.
Die Führung der Islamischen Republik geht gegen Basarproteste traditionell anders vor als etwa gegen politische oder feministische Demonstrationen, die meist schnell und hart unterdrückt werden. Gegenüber den Händlern sucht die Regierung oft den Ausgleich. Auch diesmal berichteten staatliche Medien ungewöhnlich offen über die Proteste und räumten ein, dass sie auf die schlechte Wirtschaftslage zurückzuführen seien – statt sie reflexhaft äußeren Feinden zuzuschreiben. Die Regierung von Präsident Massud Peseschkian reagierte bereits am Montagnachmittag, nur 24 Stunden nach Beginn der Proteste entließ sie den Chef der Zentralbank, Mohammad Reza Farsin. In Staatsmedien hieß es, er sei zurückgetreten.
Bemerkenswert ist, dass der neue Zentralbankchef, Abdolnaser Hemmati, ausgerechnet der frühere Wirtschaftsminister ist, der im März 2025 gerade wegen des Währungsverfalls vom Parlament abgesetzt worden war. Einige Ökonomen sehen darin ein Zeichen staatlicher Ratlosigkeit.
Die Regierung versucht, die Proteste einzudämmen
Präsident Peseschkian kündigte an, über Gespräche mit Vertretern der Protestierenden deren "berechtigte Forderungen" anhören zu lassen. Ein solcher Dialog ist im iranischen Kontext ungewöhnlich und unterstreicht, dass die Führung den Basar als sensiblen Faktor betrachtet – nicht zuletzt aus Sorge, weitere soziale Gruppen könnten sich anschließen.
Bislang reagieren zivilgesellschaftliche Akteure, politische Aktivisten und feministische Gruppen, die frühere landesweite Proteste getragen hatten, zurückhaltend. Zwar betonen sie die Legitimität der wirtschaftlichen Forderungen, rufen jedoch (noch) nicht zur Beteiligung auf. Anders studentische Organisationen: Sie erklärten am Montag ihre Solidarität und riefen zu Kundgebungen auf. Am Dienstagnachmittag fanden auf den Campus mehrerer Universitäten Teherans Demonstrationen statt. Die Studierenden skandierten Parolen gegen das Regime und zur Unterstützung der Proteste der Händler.
Parallel ordnete die Regierung an, am Mittwoch sämtliche Behörden, Schulen, Universitäten, Banken und Kommunalverwaltungen in der Provinz Teheran zu schließen. Offiziell wegen Kälte und Energieknappheit, politische Beobachter werten den Schritt als Versuch, die Proteste einzudämmen.
Ökonom Sadeghi Boroujeni verweist darauf, dass frühere Basarproteste oft mit Zugeständnissen oder Personalwechseln endeten – solange sie isoliert blieben. Sollten sich jedoch Studierende, Frauen, Arbeiter oder Rentner in größerer Zahl anschließen, würden die Forderungen politischer, radikaler und umfassender.
Die Krise als Folge der eigenen Außenpolitik
Noch während die Proteste am Sonntag ausbrachen, präsentierte Präsident Peseschkian im Parlament den Haushaltsentwurf für das kommende Jahr. Er räumte zum wiederholten Mal ein, dass der Regierung die Mittel zur Lösung der Wirtschaftskrise fehlten. Im Haushaltsentwurf für das kommende Jahr, das nach iranischem Kalender im März beginnt, spielen die Öleinnahmen nur noch eine marginale Rolle. Das liegt einerseits daran, dass der Iran infolge der harten Sanktionen der Vereinigten Staaten und des internationalen Sanktionsregimes sein Öl kaum noch regulär exportieren kann.
Andererseits fließen selbst die verbliebenen Erlöse aus dem Ölgeschäft nicht mehr in den regulären Staatshaushalt. Stattdessen werden diese Mittel, unter Umgehung des Parlaments, nach dem Willen von Ajatollah Ali Chamenei, dem Obersten Führer der Islamischen Republik, unmittelbar in den Wiederaufbau militärischer Kapazitäten gelenkt. Ziel ist es, die Abschreckungs- und Durchhaltefähigkeit des Regimes für den Fall einer erneuten militärischen Eskalation mit Israel zu sichern.
Kritiker sehen die gegenwärtige Wirtschaftskrise als direkte Folge der außenpolitischen Linie des Regimes – und der daraus resultierenden Sanktionen. In einer am Montag aus dem Teheraner Evin-Gefängnis veröffentlichten Erklärung machte Mustafa Tadschzadeh, einer der bekanntesten Oppositionspolitiker des Landes und seit Jahren politischer Gefangener, Ajatollah Ali Chamenei persönlich für die Misere verantwortlich und forderte dessen Rücktritt.
Auch andere politische Kräfte haben in den vergangenen Wochen zunehmend offen einen grundlegenden Kurswechsel gefordert. Vor allem reformorientierte Gruppen drängen auf einen radikalen Paradigmenwechsel in der Außenpolitik, auf eine Verständigung mit dem Westen und auf ein Ende der politischen wie wirtschaftlichen Isolation des Landes. Dies setzt allerdings weitreichende Zugeständnisse voraus: den Verzicht auf das Atomprogramm, eine deutliche Begrenzung der Raketenentwicklung sowie das Ende regionaler Interventionen und der offenen Drohpolitik gegenüber Israel.
Diese Forderungen stoßen jedoch auf den entschiedenen Widerstand jener Machtzentren, die die Außenpolitik der Islamischen Republik maßgeblich bestimmen. Ajatollah Chamenei, als oberster Lenker der strategischen Ausrichtung des Landes, lehnt einen solchen Kurswechsel ebenso ab wie die Revolutionsgarden, die sich in den vergangenen Jahren nicht nur zur zentralen militärischen, sondern auch zu den dominierenden wirtschaftlichen Akteuren – und Profiteuren – des Systems entwickelt haben.
Zwei offene Fragen sind entscheidend
Ob aus den Protesten Konsequenzen folgen und ob sie größer werden, hängt laut Ökonom Sadeghi Boroujeni davon ab, ob es den Protesten gelinge, über spontane Empörung hinauszuwachsen. Andernfalls "drohen die Proteste auf der Ebene eines blinden, rein existenziellen Aufbegehrens ohne Ziel, Richtung und Programm stecken zu bleiben". Derzeit seien die Proteste jedoch weitgehend unorganisiert und verfügten weder über eine erkennbare individuelle noch über eine kollektive Führung.
Das Schicksal der aktuellen Protestwelle ist damit an zwei offene Fragen geknüpft. Zum einen daran, ob Ajatollah Chamenei – inzwischen 87 Jahre alt – weiterhin über den politischen Willen und die physische Entschlossenheit verfügt, eine Eskalation mit repressiven Mitteln durchzusetzen. Zum anderen daran, ob es den Protesten gelingt, über den Kreis der Händler hinaus weitere gesellschaftliche Gruppen zu mobilisieren – und ob sich unter den Gegnern und Kritikern der Islamischen Republik erstmals ein Mindestmaß an Konsens über ein gemeinsames strategisches und praktisches Vorgehen herausbildet.